Neue Flüchtlingsunterkunft in Leipzig-Paunsdorf: Gereizte Stimmung im Stadtbezirksbeirat

Im Stadtteil Paunsdorf werden Zelte und Container für 600 Flüchtlinge entstehen. Am Mittwochabend wurde das Projekt im Stadtbezirksbeirat Ost vorgestellt. Im Vorfeld hatten Gegner des Vorhabens zur Teilnahme mobilisiert, auch Befürworter zeigten Flagge.

Eine neue Notunterkunft für 600 Flüchtlinge mit Zelten und Containern soll in Paunsdorf in der Hochentichelnstraße 20 entstehen – das hatte die Leipziger Stadtverwaltung in der vergangenen Woche bekanntgegeben. Diese Nachricht sorgte im Stadtteil für Wirbel. Rund 150 Interessierte füllten am Mittwochabend die Mensa der Quartiersschule Ihmelsstraße bis auf den letzten Platz, um an der Sitzung des Stadtbezirksbeirats Ost teilzunehmen, der die Pläne erstmals im Detail vorstellte. Vor der Schule hatten sich rund 50 Befürworter der neuen Unterkunft eingefunden und setzten ein Zeichen gegen Rassismus.

Konfrontation vor der Mensa

Die Befürworter wollten ein Zeichen setzen, weil im Vorfeld Unbekannte in Paunsdorf mit Plakaten dazu aufforderten, in der Beiratssitzung gegen die Unterkunfts für Geflüchtete zu protestieren. „Lasst uns den Stadtvertretern sagen, was wir davon halten“, war auf den Aushängen zu lesen.

Außerdem hatte in der linken Szene eine Pressemitteilung des Leipziger AfD-Stadtrats Marius Beyer für Unmut gesorgt. Der stellvertretende Vorsitzende seiner Ratsfraktion hatte darin „eine von Scheinmoral getriebene bundesdeutsche Migrationspolitik“ erwähnt, die die Paunsdorfer jetzt „erdulden“ müssten. „Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit oder der gesellschaftliche Frieden in Paunsdorf und Sellerhausen-Stünz werden nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen“, befürchtet er.

Die vor der Schule protestierenden Befürworter der Notunterkunft sehen das ganz anders. „Wir wollen deutlich machen, das Menschenwürde nicht verhandelbar ist“, erklärte Stadtrat Jürgen Kasek (Grüne). „Für uns ist Flucht nicht verwerflich. Und wir wollen diesen Hass nicht.“

„Lasst die Leute rein“

In der Mensa gab es schon kurz vor Sitzungsbeginn Ärger. Denn sämtliche Plätze waren besetzt, aber es drängten immer noch Interessenten nach. „Lasst die Leute rein“, riefen Teilnehmer, die schon Plätze hatten. Doch die Stadtbezirksbeiratsvorsitzende Elke Sievers zog die Notbremse: „Wir sind leider voll.“

Für Unmut sorge bei vielen auch, dass der Tagesordnungspunkt Notunterkunft erst eine reichliche Stunde nach Beginn der Beiratssitzung aufgerufen werden sollte. „Die haben Angst“, riefen einige Zuhörer, und einer forderten kategorisch, den Tagespunkt vorzuziehen – vergeblich.

Als das Thema zur Sprache kam, erklärte Sozialbürgermeisterin Martina Münch (SPD), dass Sachsen laut Gesetz fünf Prozent der nach Deutschland Geflüchteten aufnehmen muss, und Leipzig nach seinem Bevölkerungsanteil davon 15 Prozent zugewiesen bekommt. Zusätzlich würden Leipzig auch Ukrainer zugeteilt sowie in diesem Jahr noch rund 100 ehemalige afghanische Ortskräfte. „Wir brauchen dringend weitere Unterkünfte“, so Münch.

Kinder werden erwartet – Zuweisung an Schulen

Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst gab bekannt, dass die ersten 300 Plätze der geplanten Notunterkunft in Paunsdorf im November belegt werden sollen, weitere 300 Anfang 2024. Für jeden der beiden Bereiche seien rund um die Uhr drei Sicherheitsleute eingesetzt. Die Kosten der neuen Unterkunft beziffert Kador-Probst in diesem Jahr mit 4,9 Millionen Euro und im nächsten Jahr mit 9,4 Millionen Euro – durch Zuweisungen des Freistaates würden die Belastungen der Stadt Leipzig aber auf 4 beziehungsweise 4,2 Millionen Euro sinken.

„Wer untergebracht wird, können wir noch nicht sagen“, so die Amtsleiterin. „Das erfahren wir erst mit einem Vorlauf von vier bis sechs Wochen. Wir gehen davon aus, dass auch Kinder darunter sind, die dann den Schulen zugewiesen werden.“

Stadtbezirksbeirätin Ulrike Gebhardt (Grüne) wollten wissen, ob sich die Bewohner der neuen Unterkunft selbst versorgen müssen. Kardor-Probst: „Bisher hatten wir eine Gemeinschaftsversorgung, aber jetzt versorgen sich die Geflüchteten selbst.“ In den Küchenzelten bekomme jeder Geflüchtete ein Fach. Für die soziale Betreuung in der Notunterkunft sei gesorgt, aber dafür würden „auch vorhandene Angebote“ im Umfeld genutzt, zum Beispiel Jugendclubs.

Geflüchtete versorgen sich selbst

Ein Zuhörer wollte wissen, wo die 600 neuen Flüchtlinge einkaufen sollen. Im Umfeld gebe es nur zwei kleinere Discounter. „Die Flüchtlinge können auch in anderen umliegenden Supermärkten einkaufen“, so Kardor-Probst. „Das funktioniert an anderen Standorten auch.“

Stadtbezirksbeirat Berthold Richter (AfD) kritisiert, dass die neue Unterkunft ausgerechnet in Paunsdorf entsteht. „In Paunsdorf leben bereits 25 Prozent Bürgergeldempfänger, und der Migranten-Anteil ist ähnlich hoch“, kritisiert er. Da seien Konflikte programmiert.

„Wenn Menschen zusammenleben, können immer Konflikte entstehen“, entgegnete Bürgermeisterin Münch. „Das kann man nicht ausschließen.“ Und ein Polizist vom Revier Südost ergänzte, dass sich bei anderen Notunterkünften in Leipzig gezeigt habe, dass sich das Kriminalitätsgeschehen mit Inbetriebnahme der Geflüchteteneinrichtungen nicht merklich erhöht habe.

„Paunsdorf ist ein sozialer Brennpunkt“

Allerdings: „Paunsdorf und Sellerhausen-Stünz sind schon jetzt ein sozialer Brennpunkt“, so der Polizeibeamte aus dem Revier Südost. Dort kämen jährlich rund 14.000 Straftaten auf 100.000 Einwohner. „Das ist vor allem Drogen- und Beschaffungskriminalität. Wir beobachten das intensiv und reagieren.“

Mehrere Zuhörer gerieten daraufhin in Rage und wollten wissen, wo sie ihr Veto gegen den Bau der neuen Flüchtlingsunterkunft einlegen können. Dies sei nicht möglich, stellte die Sozialamtsleiterin klar. Bei der Ratsvorlage zum Bau der Flüchtlingsunterkunft handle es sich nur um eine Informationsvorlage. „Der Bau ist schon durch den Oberbürgermeister entschieden.“ Dies sei möglich, weil es sich bei der Unterbringung der Flüchtlinge um eine Pflichtaufgabe für Kommunen handle. Zahlreiche Teilnehmer verließen daraufhin die Beiratssitzung.

„Wir halten diesen Standort für geeignet“

Die Verbliebenen wollten unter anderem wissen, wie lange Flüchtlinge in Notaufnahmelagern bleiben. Dafür gebe es keine Durchschnittszeit, sagte Bürgermeisterin Münch. Dies sei stark abhängig von der Familienzusammensetzung. Aber: „Binnen eines Jahres zieht die Hälfte aus“ – in eigene Wohnungen.

Angesichts des immer stärker werdenden Wohnungsnotstandes in Leipzig wurden daran Zweifel laut. „Machen Sie sich ehrlich“, forderte AfD-Stadtrat Christian Kriegel die Sozialamtsleiterin auf. „Die nächsten zwei Jahre wird keiner aus den Zelten rauskommen, weil es in Leipzig keine Wohnungen gibt.“ Notwendig sei ein Stopp für den Zuzug von Flüchtlingen.

Kardor-Probst widersprach. „Wir halten diesen Standort für geeignet“, sagte sie. „Nach Einschätzung der Polizei wird sich auch kein weiteres Kriminalitätsgeschehen entwickeln.“